Etwas, das keinen Wirkstoff besitzt, wirkt. Das kann nur Einbildung sein? Neue Studien zeigen, dass es weitaus mehr als Einbildung ist. Das aktuelle Profil Wissen (23. März 2016) beschäftigt sich mit dem Thema „Placebo – das stärkste Medikament der Welt“. Ich war schon lange nicht so gefesselt von einem Forschungsthema, das hier wirklich gut aufbereitet wurde.
Die Forschung zeigt, wie psychische Prozesse in physiologische Reaktionen umgewandelt werden. Vorgetäuschte Behandlungen oder Scheinmedikamente setzen nachweislich biochemische Prozesse in Gang und aktivieren bestimmte Gehirnareale, vor allem die Amygdala, den Hypothalamus und den präfrontalen Kortex. Offensichtlich werden die Eigenmedikation und die Selbstheilungskräfte des Körpers dadurch angeregt.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
Eine wesentliche Rolle spielt dabei offensichtlich die Erwartungshaltung. Selbsterfüllende Prophezeiungen kennen wir alle aus unserem Alltag: Wenn wir denken, dass wir schlecht geschlafen hätten, reduziert sich unsere mentale Leistungsfähigkeit erheblich, auch wenn Schlafaufzeichnungen einen tiefen Schlaf zeigen. Wenn wir glauben, dass wir ein Lebensmittel nicht vertragen, bekommen wir tatsächlich Bauchweh, obwohl medizinisch keine Unverträglichkeit festgestellt werden kann.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Erwartungshaltung über die Wirkung eines Medikamentes wesentlich für den Heilungsverlauf ist. Wenn PatientInnen gesagt wird, dass ein Medikament die Schmerzen lindert, berichten sie häufig tatsächlich von einer Linderung. Wird ihnen gesagt, das Medikament könnte die Schmerzen verstärken oder Nebenwirkungen hervorrufen, berichten die PatientInnen häufiger von einer Verstärkung der Schmerzen bzw. von häufigeren Nebenwirkungen. Sogar Scheinoperationen und Scheinbehandlungen können zu einer Symptomreduktion führen.
Placebos wirken auch dann, wenn man weiß, dass es welche sind. Dabei kommt es wieder auf die Information über die Wirkung und den möglichen Therapieerfolg an. Ähnlich verhält es sich wohl mit alternativmedizinischen oder esoterischen Angeboten, von denen oft wissenschaftlich keine Wirkung nachgewiesen werden kann – und dennoch berichten viele Menschen über eine positive Wirkung.
Unsere Vorstellungskraft ist sogar so mächtig, dass Menschen sterben können, wenn sie glauben unheilbar krank zu sein, obwohl medizinisch keinerlei Erkrankung vorliegt. So erklärt es sich auch, dass manche Menschen massiv leiden oder sterben, wenn sie glauben einem Voodoo-Zauber zu unterliegen (diese Phänomene nennen sich Nocebo-Effekt – wörtlich übersetzt „ich werde schaden“).
Ein Beispiel außerhalb der Medizin, wie die Erwartungshaltung physiologisch umgesetzt wird: In einem Hotel wurde einem Teil der Zimmermädchen gesagt, dass der anstrengende Job dazu führe, fit zu bleiben und genug Kalorien zu verbrennen. Der zweiten Gruppe wurde nichts gesagt. Nach 4 Wochen hatten die Zimmermädchen der ersten Gruppe ein Kilo Gewicht verloren, der Körperfettanteil war reduziert und der Blutdruck war gesunken. Bei der zweiten Gruppe zeigten sich keine Veränderungen.
Aber Achtung: Placebos haben eine starke Wirkung, aber natürlich auch Grenzen. Meistens zeigen herkömmliche Medikamente und chirurgische Eingriffe viel höhere Ergebnisse. Manche Menschen sind für Placebos gar nicht empfänglich – damit beschäftigen sich genetische Forschungen. Die Uraschen von Erkrankungen lassen sich meist nur mit wirksamen Therapien bekämpfen. Die Symptome und Begleiterscheinungen oder kleinere Wehwehchen lassen sich jedoch häufig mit Placebos verringern. Suchen Sie bei körperlichen oder psychischen Beschwerden unbedingt einen Arzt auf und lassen Sie diese abklären!
Konsequenzen für die Kommunikation
Die Forschungen zeigen, wie wichtig die Art und Weise von Informationsvermittlung ist. Die Wortwahl des Arztes/ der Ärztin fördert eine konkrete Erwartungshaltung der PatientInnen über die Wirkung von Behandlungen und Medikamenten, und beeinflusst damit maßgeblich den Heilungsverlauf. Auch das Pflegepersonal, ApothekerInnen, TherapeutInnen, Eltern, LehrerInnen usw. sollten auf eine sensible Kommunikation achten. Besonders da, wo ein Vertrauensverhältnis besteht und wir uns von jemandem Hilfe oder Trost erhoffen, kann eine förderliche oder hinderliche Erwartungshaltung ausgelöst werden.
Das heißt nicht, dass wir den Menschen nur Positives berichten dürfen und sie vielleicht sogar anlügen sollen. Die Informationen sollen schon ehrlich vermittelt werden (bei ÄrztInnen gibt es z.B. auch eine Aufklärungspflicht), doch ist es ein Unterschied ob ich höre: „Dieses Medikament wirkt bei einem Teil meiner PatientInnen mit Ihrem Symptom gut. Ich würde es gerne auch bei Ihnen ausprobieren.“oder ob ich höre: „Probieren Sie das Medikament mal aus.“ Bei letzterem fühle ich mich eher wie ein Versuchskaninchen und ich habe keine Vorstellung einer Verbesserung . Oft sind es die Feinheiten in der Kommunikation, die Wortwahl, der Tonfall, der Blickkontakt, die im Gegenüber eine positive oder negative Erwartungshaltung und eine entsprechende Stimmung auslösen.
Rituale geben Sicherheit
Auch Rituale schaffen positive Erwartungshaltungen. Wenn Kinder erkältet sind, geben ihnen die Eltern gerne einen „Zaubertee“, der sie über Nacht gesund machen soll. Wenn sich Kinder verletzen, blasen die Eltern auf die Wunde und versorgen sie mit einem bunten Pflaster. Solche Rituale vermitteln das Gefühl, dass alles wieder gut wird. Sogar SpitzensportlerInnen schwören auf ihre Maskottchen und Rituale vor einem Wettkampf. Und welche „Zaubermittel“ erleichtern Ihnen den Alltag?
* Quellen und Weiterlesen:
PROFIL WISSEN (Nr. 1/ 23. März 2016): „Placebo – Das stärkste Medikament der Welt“.